Das Müllproblem lösen durch Kompostierung
VON UNSEREM KORRESPONDENTEN IN FINNLAND
MIT dem Anwachsen des Müllbergs steht die Menschheit vor einer der größten Schwierigkeiten unseres Zeitalters. Die moderne Technologie hat zwar keine Probleme, Abfall zu produzieren, doch was die Entsorgung des Mülls betrifft, scheint sie mit ihrem Latein ziemlich am Ende zu sein. Die althergebrachten, offensichtlich einfachen Lösungen stecken voller Probleme. Da Mülldeponien das Grundwasser in der Umgebung verschmutzen können, sahen sich viele Länder gezwungen, solche Deponien zu schließen. Bei der Verbrennung von Müll können giftige Chemikalien freigesetzt werden, und es bleibt Asche zurück — das stellt zwei weitere Entsorgungsprobleme dar. Hochtechnisierte Verbrennungsanlagen sind daher in vielen Gegenden nicht gern gesehen.
Welche Alternative verbleibt? Einige sind dafür, feste Abfallstoffe auf natürlichem Weg zu entsorgen — durch eine Art biologische „Verbrennung“, die sogenannte Kompostierung. Wie bei der Verbrennung wird die organische Substanz bei der Kompostierung zu einer Reihe von Nebenprodukten abgebaut — ein Vorgang, bei dem Wärme frei wird. Diese im Verlauf der Kompostierung entstehenden Nebenprodukte können recht brauchbar sein. Die Gase und die Wärme können als Energiequellen genutzt werden. Und der Humus, ein festes Nebenprodukt, ist ein wertvolles Düngemittel in der Landwirtschaft.
Müllkompostierung findet immer mehr Verbreitung. In Finnland beispielsweise haben die Nachbarstädte Korsholm und Vaasa eine moderne Abfallbeseitigungsanlage entwickelt, die sich der Kompostierung bedient. Die Konstrukteure der Anlage haben einen genialen Weg gefunden, durch den sie gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen konnten. In der Gegend dort ist Schotter für den Straßenbau knapp. Daher kam man auf den Gedanken, in das Muttergestein ein großes, 40 Meter tiefes Loch zu sprengen. Nachdem man riesige Mengen Schotter weggeräumt hatte, bildete das Loch einen idealen Standort für einen riesigen Bioreaktor, der den Müll der Städte verarbeiten sollte. Da der Reaktor von hartem Felsgestein umgeben ist, kann die Temperatur im Reaktor stets konstant gehalten werden, etwas, was für die Fermentation sehr wichtig ist.
Was ist die Folge? Mit Hilfe dieser modernen Anlage hat man das Müllproblem in der Gegend weitgehend gelöst. Durch sie reduziert sich das Volumen des Mülls um 75 Prozent und das Gewicht um 66 Prozent. Wie ist das möglich? Wir wollen die Anlage einmal besichtigen.
Eine einzigartige Müllverarbeitungsanlage
Der erste Eindruck, den wir beim Betreten der Anlage erhalten, ist, daß sie wenig mit den herkömmlichen Mülldeponien gemeinsam hat. Es gibt keine Ratten und keine üblen Gerüche. Die Abfallwirtschaft scheint hier einfach ein anderer produktiver Industriezweig zu sein.
Der Manager der Anlage erklärt uns erst einmal an Hand eines Schaubildes, was sich im Innern der Anlage abspielt. In einem zweiteiligen Verfahren wird ein Großteil des Volumens und der Masse des Abfalls reduziert — erst durch Kompostierung, dann durch Verrottung. Bei der Kompostierung werden die Abfallstoffe unter Luftzufuhr zersetzt, bei der Verrottung fermentiert der Abfall ohne Luftzufuhr. Bevor jedoch einer dieser Vorgänge in Gang gesetzt wird, wird der Abfall zerkleinert.
Vom Fenster des Kontrollraums aus sehen wir ein Müllfahrzeug, das rückwärts durch ein großes Tor fährt. Es kippt den Müll in eine riesige trichterförmige Grube ab; von dort wird er auf Transportbändern in eine Raspelmaschine transportiert. Größere Gegenstände wie Fahrradgestelle, Autoreifen, Auspuffrohre und die meisten Plastikgegenstände werden von einem Kran aussortiert. Wie uns unser Führer erklärt, werden alte Kühl- oder Gefrierschränke, die hier abgeladen werden, zur Reparatur geschickt und später an wenig entwickelte Länder verkauft.
Nachdem der Müll das erste Mal zerkleinert worden ist, kommt er in ein Sieb, durch das alle Teile fallen, die kleiner als 50 Millimeter sind. Das macht ungefähr die Hälfte des Gesamtmülls aus, und von da an tritt der Müll in die erste Phase des biologischen Verfahrens ein, die Kompostierung. Das geschieht in einer großen Trommel, wo der zerkleinerte Müll mit dem Klärschlamm von der städtischen Kläranlage vermischt wird.
„Bei der Entwicklung dieses Verfahrens waren wir stets auf die Umwelt bedacht“, sagt unser Führer. „Darum saugen wir sogar den Staub ab, der beim Zerkleinern entsteht. Außerdem belüften wir die Kompostiertrommel, in der die Mischung aus Abfall und Klärschlamm homogenisiert und auf ungefähr 40 Grad Celsius erhitzt wird. Die Luft würde infolge der aeroben Zersetzung entsetzlich stinken, wenn wir sie nicht zuerst durch einen Filter gehen lassen würden.“
Nach ein oder zwei Tagen Kompostierung kommt das Material in den 40 Meter hohen Biogasreaktor. Was geschieht dort? Nun, die organischen Stoffe der Mischung werden von winzigen Mikroben, die in diesem sauerstofffreien Umfeld leben können, zersetzt. Jenen Teil des Verfahrens nennt man schlicht und einfach Verrottung. Der Vorgang dauert bei einer Temperatur von 35 Grad Celsius 15 Tage. Das Endprodukt sind Biogas und die aus ungefähr 85 bis 90 Prozent Wasser bestehende Humusmasse. Der größte Teil des Wassers wird dem Humus entzogen und wieder in den Reaktor zurückgeführt.
Was passiert jedoch mit der Hälfte des Mülls, die im Sieb zurückbleibt? Unser Führer sagt uns, dieser Müll sei brennbar, da er sich hauptsächlich aus Papier und Plastik zusammensetze. Aber um den Abfall sicher verbrennen zu können, sei eine Temperatur von über 1 000 Grad Celsius erforderlich — und eine Verbrennungsanlage mit einer solchen Kapazität gibt es in der Umgebung nicht. „Darum zerkleinern wir den Restmüll noch einmal und führen ihn dem Vorgang erneut zu“, sagt er. „Es stimmt, daß sich Plastik durch das biologische Verfahren nicht abbauen läßt, aber der Müll besteht zum größten Teil aus Papier, das schließlich auch zu Humussubstanz wird.“
Welche Produkte erhält man durch dieses komplizierte Verfahren? Unser Führer antwortet: „Wir erhalten hauptsächlich zwei Produkte: Humussubstanz und Biogas. Die Humusmasse verkaufen wir; damit können Grünanlagen gestaltet oder geschlossene Müllgruben aufgefüllt werden. Und die Nachfrage nach Humus ist im Moment groß, weil zur Zeit viele alte Müllabladeplätze geschlossen werden. Wir müssen abwarten, ob sich der Humus, nachdem man ihn von Glas und Plastik befreit hat, künftig auch in der Landwirtschaft einsetzen läßt. Das Biogas setzt sich aus 60 Prozent Methan und 40 Prozent Kohlendioxyd zusammen. Was die Qualität betrifft, ist es mit Erdgas vergleichbar und läßt sich auch so nutzen. Durch unser Pipelinesystem wird es den nächstgelegenen Fabriken zugeführt.“
Wie sieht es mit Schwermetallen im Müll und im Klärschlamm aus? Unser Führer erklärt weiter: „Die Schwermetalle treten konzentriert im Wasser auf. Darum beabsichtigen wir, künftig noch die nötigen Vorrichtungen zu installieren, mit denen man dem Wasser die Schwermetalle entziehen kann. Dann läßt sich unser Produkt möglicherweise für alle Zwecke verwenden. Es wäre mein Traum, wenn in Zukunft alle Haushalte ihren Müll trennen würden, so daß wir weder Glas noch Plastik, noch Metalle erhalten würden. Das alles läßt sich recyceln. Selbst Synthetik, Plastik und Gummi sind recycelbar.“
Die Anlage kann den Abfall verarbeiten, der bei einer Menge von 100 000 Menschen anfällt. Für Finnland ist das von Bedeutung. Das Land plant, bis zum Jahr 2000 die Hälfte seines Mülls wieder nutzbar zu machen — entweder in Form von Rohstoffen oder in Form von Energie.
Unser Rundgang hat uns konkrete Beweise dafür geliefert, daß es möglich ist, etwas gegen das Müllproblem zu tun. Jeder kann sich an die Recyclingbestimmungen halten, die an seinem Wohnort gelten. Bevor wir uns von unserem Führer verabschieden, fragen wir ihn, ob es viele solcher Anlagen gibt, in der Abfälle ebenso effektiv verarbeitet werden. „Das ist schwer zu sagen“, erwidert er. „Ich weiß nichts von Anlagen dieser Art. Vielleicht sind die Müllprobleme vielerorts noch viel größer, so daß sich noch keiner an diesen Versuch herangewagt hat.“