Die befriedigendste Lebensaufgabe
Erzählt von Kathe B. Palm
SEIT mehr als 30 Jahren widme ich meine ganze Zeit der Lebensaufgabe, die sich auch der Apostel Paulus gestellt hatte — dem Predigen der guten Botschaft von Gottes Königreich. Diese Tätigkeit hat mir große Freude bereitet und mich sehr befriedigt, weil ich mich in den Dienst meiner Mitmenschen stellte anstatt mein Leben durch ein selbstsüchtiges Jagen nach materiellen Gütern zu vergeuden.
Es war im Jahre 1931, als ich beschloß, Pionier zu werden, das heißt die Verkündigung der guten Botschaft vom Reich Gottes zu meiner Lebensaufgabe zu machen. In jenem Jahr veranstaltete Jehovas Volk in Columbus (Ohio, USA) einen großartigen Kongreß. Dieser war ein ganz besonderes Erlebnis für mich, weil es der erste derartige Kongreß war, den ich besuchte. Ich hatte bereits mehrere Jahre lang die Schriften der Watch Tower Bible and Tract Society allein und gemeinsam mit anderen studiert und besaß schon eine recht gute Erkenntnis über das Vorhaben Gottes. Dieser Kongreß des Volkes Gottes — für mich der erste — erfüllte mich mit großer Begeisterung. Auf diesem Kongreß wurde enthüllt, daß sein Volk einen neuen Namen erhalten hatte — Jehovas Zeugen. Als ich am Morgen nach dieser Bekanntmachung aufwachte, beschloß ich, mein Leben dem einzig wahren Gott, Jehova, hinzugeben und nach Matthäus 6:33 (NW) zu handeln: „So fahrt denn fort, zuerst das Königreich und Seine Gerechtigkeit zu suchen.“
Nachdem ich getauft worden war, sandte ich meine Pionierbewerbung an das Hauptbüro der Watch Tower Society in Brooklyn. Seit 1931, dem Jahr, in dem ich den gesegneten Pionierdienst aufnahm, sind mehr als 30 Jahre verflossen. Keine andere Tätigkeit hätte mich so befriedigt, hätte mich geistig so reich gemacht wie diese. Ich bin Jehova von Herzen dankbar für all die Dienstvorrechte, die er mir in diesen Jahren geschenkt hat.
Nachdem ich ein paar Monate lang die gute Botschaft vom Königreich in der Stadt New York verkündigt hatte, wurde ich von einer Glaubensschwester eingeladen, nach Dorchester County, im Staate Maryland, zu kommen, um dort die gute Botschaft zu predigen. Nachdem ich dort einige Zeit tätig gewesen war, lud mich die Gesellschaft ein, meine Tätigkeit nach Süddakota zu verlegen. Wäre ich bereit, mit einer Partnerin, die einen Wohnwagen besaß, der von einem Pferd gezogen wurde, zusammenzuarbeiten? O ja! Natürlich war ich bereit, ich war auch frei und konnte sofort dorthin abreisen. Als ich in Sioux City in Iowa, wo meine Partnerin wohnte, ankam, war der „Prärieschoner“, wie wir das Gefährt nannten, fast startbereit. Dem Mann meiner Partnerin war es aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich mitzugehen. Heute würden wir sagen, sie machte Ferienpionierdienst, denn sie hatte sich nur während der Sommermonate für diesen Dienst frei gemacht.
Damals waren die Farmer in Süddakota sehr arm wegen der Dürre, die mehrere Jahre hintereinander gewesen war, und wegen der Heuschreckenplage, die das Land verheert hatte; sie benötigten daher die trostreichen Wahrheiten über Gottes Königreich. Wir freuten uns, ihnen diese Wahrheiten zu bringen. Für die Schriften zum Studium der Bibel, die wir ihnen zurückließen, gaben sie uns Nahrungsmittel und Futter für unser Pferd. Als der Sommer vorbei war und meine Partnerin zu ihrem Mann zurückkehrte, machte ich allein weiter; eine Farmerfamilie, Zeugen Jehovas, tauschten das Pferd, das den „Prärieschoner“ gezogen hatte, gegen ein Reitpferd aus, mit dem ich dann von Ort zu Ort ritt.
Als ich erfuhr, daß im Jahre 1934 in Los Angeles ein Kongreß stattfinden sollte, setzte ich alles daran, ihn zu besuchen. Die einzige Möglichkeit, die ich hatte, um nach Los Angeles zu gelangen, war per Anhalter. Ich brauchte nie den Daumen in der Richtung auszustrecken, in der ich fahren wollte, sondern die Autos hielten immer vorher schon an und nahmen mich gleich mehrere Hundert Kilometer weit mit. So gelangte ich nach Los Angeles und konnte auf der Reise vielen Kraftfahrern etwas über die trostreichen Wahrheiten des Wortes Gottes erzählen. Während dieses Kongresses wurde ein Brief an Hitler gesandt, in dem gegen die Mißhandlungen der Zeugen Jehovas in Deutschland protestiert wurde. Nach einer herrlichen Woche in Los Angeles im Kreise liebevoller Brüder kehrte ich auf die gleiche Weise, wie ich gekommen war, nach Süddakota zurück. Als ich meine Missionsarbeit dort beendet hatte, erhielt ich eine Einladung, nach Kolumbien in Südamerika zu reisen, um dort das Werk zu tun.
DIENST IN SÜDAMERIKA
Gleich nach meiner Ankunft in Kolumbien begann ich mit Hilfe einer sogenannten Zeugniskarte — einer Karte, auf der eine Predigt in spanisch stand — zu arbeiten. Zwei Monate später lernte ich in Cali (Kolumbien) Hilma Sjoberg kennen. Sie war es gewesen, die an die Gesellschaft geschrieben und meine Reise nach Südamerika bezahlt hatte. Gemeinsam predigten wir zuerst in Cali und dann in Bogotá, der Hauptstadt Kolumbiens. Nach einem Jahr mußte sie in die Vereinigten Staaten zurückkehren, regte aber vor ihrer Abreise noch an, ich solle nach Chile zu einem deutschen Ehepaar fahren, das sie auf ihrer Reise kennengelernt habe. Den Brief, den wir diesem Ehepaar sandten, beantwortete es mit einer Einladung, nach Santiago zu kommen und mitzuhelfen, die gute Botschaft in dieser Stadt zu verkündigen.
Im Jahre 1936 verließ ich Buenaventura (Kolumbien) und fuhr mit einem chilenischen Frachtschiff nach Valparaiso (Chile). Bruder Traub und seine Frau holten mich am Hafen ab und nahmen mich außerordentlich gastfreundlich auf. Damals gab es in Chile nur etwa 50 Zeugen. Kannst du dir meine Freude vorstellen, die ich empfinde, wenn ich daran denke, daß diese Zahl bis zum Jahre 1963 auf mehr als 3100 anwuchs und daß auch ich einen Anteil an diesem Wachstum hatte? Ich hätte dieses beglückende Erlebnis nicht gehabt, hätte ich den Pionierdienst nicht zu meiner Lebensaufgabe gemacht.
In jenen Jahren bestand unsere Missionstätigkeit lediglich darin, den Menschen biblische Schriften abzugeben. Bruder Traub hielt es für das beste, daß ich versuche, so viele Provinzen Chiles wie möglich durchzuarbeiten. Daher fing ich in Arica, dem nördlichsten Ort Chiles, an und arbeitete bis Feuerland, dem südlichsten Zipfel Chiles. Ich brachte die gute Botschaft den Bergleuten, die hoch oben in den Anden in den Schwefelgruben arbeiteten, den Arbeitern der Salpetergruben in der Pampa von Tocopilla, Iquique und Antofagasta sowie den Bergleuten, die in den Silberminen arbeiteten, und den Schafzüchtern.
Hoch oben an den Hängen des Calbuco, eines erloschenen Vulkans, stehen gewaltige Mammutbäume. Sie werden von den armen Bergbauern, die dort leben, gefällt und zum Decken ihrer Dächer benutzt. Diese Leute waren überrascht, mich zu sehen, und sie konnten nicht begreifen, was mich zu ihnen führte. Als sie die Botschaft vom Königreich hörten, waren sie überglücklich. Bis spät in die Nacht hinein saßen wir um das Lagerfeuer, und ich mußte ihnen aus der Bibel vorlesen und ihnen dann alles erklären. Es war das erste Mal, daß sie eine Bibel sahen.
Da die Entfernungen von einer estancia oder Farm zur anderen so groß waren, wartete ich jeweils, bis ein Lastwagen vorbeikam. Auf diesen estancias arbeiteten 200 bis 300 Männer, denen ich von Gottes Vorhaben erzählen und biblische Schriften hinterlassen konnte.
Feuerland, das den südlichsten Zipfel Südamerikas bildet, arbeitete ich ganz durch. Ich ging sogar in die Chorrillos zu den Goldwäschern. Sie arbeiteten hier, während ihre Familien in Porvenir, dem südlichsten Ort der Welt, wohnten. Sie waren überrascht, eine Frau ganz allein hier draußen zu sehen. Als sie erfuhren, warum ich hier war, riefen sie fünf oder sechs Mann in eine Hütte zusammen, um die gute Botschaft zu hören, die ich ihnen brachte. Ich ließ ihnen biblische Schriften zurück, trank etwas von ihrem Mate und kehrte dann, bevor es dunkelte, in die Ortschaft zurück. Nachdem ich diese Provinz durchgearbeitet hatte, reiste ich wieder in den Norden Chiles zurück und begann schließlich in Santiago eine neuartige Tätigkeit.
Im Jahre 1945 besuchten der Präsident der Gesellschaft N. H. Knorr und der Vizepräsident F. W. Franz Chile, und auf ihre Anregung hin begannen wir in Chile Heimbibelstudien mit interessierten Personen durchzuführen. Das war etwas Neues, etwas ganz anderes als nur biblische Schriften zu verbreiten, wie ich das bisher getan hatte. Wie klopfte mir das Herz, als ich zu meinem ersten Heimbibelstudium ging! Aber bald erkannte ich, daß das die beste Methode war, um interessierten Personen zu helfen, sich an dem Werk, das Jehovas Organisation tat, zu beteiligen. Auf jeder der größeren Versammlungen empfinde ich große Freude, wenn ich sehe, wie die Person, mit der ich mein erstes Heimbibelstudium durchgeführt hatte, Jehova eifrig dient. Ich begann den südlichen Teil von Santiago durchzuarbeiten, wobei ich diese neue Methode anwandte. Nach wenigen Monaten gründeten wir eine neue, damals die dritte, Versammlung in Santiago.
Ich arbeitete vierzehn Jahre in Santiago und in anderen Orten im Umkreis von etwa 100 Kilometern. Darauf sandte mich die Gesellschaft nach Valparaiso, um die gute Botschaft vom Königreich auf die Schiffe zu tragen, die diesen Hafen anlaufen. Ich kann sagen, daß die Tätigkeit auf den Schiffen ebensoviel Freude macht wie die Tätigkeit an all den anderen Orten, an die die gute Botschaft vom Königreich zu tragen, ich das Vorrecht hatte; denn viele der Männer, mit denen ich auf den Schiffen spreche, haben noch nie etwas von der guten Botschaft gehört.
Blicke ich auf die mehr als 30 Jahre zurück, in denen ich bestrebt war, meine Lebensaufgabe zu erfüllen, die mir alles bedeutet, kommt es mir zum Bewußtsein, daß ich ein sehr reiches Leben gehabt habe. Jedes Jahr, wenn ich eine größere Versammlung des Volkes Jehovas besuche, durchströmt mich ein warmes Gefühl des Glücks beim Anblick der vielen Menschen, mit denen ich Bibelstudien hatte, die jetzt die gute Botschaft verkündigen und andere an das Wasser des Lebens führen. Ich lud sie ein, von dem Wasser der Wahrheit zu trinken, und jetzt laden sie andere ein, das zu tun. — Offb. 22:17.
Das Jahr 1961 war für mich ein besonders glückliches Jahr, denn in jenem Jahr konnte ich mit der Unterstützung der Gesellschaft den Kongreß „Vereinte Anbeter“ in Hamburg (Deutschland) besuchen. Ich hatte seit 1935 keinem großen internationalen Kongreß mehr beigewohnt. Daher war es für mich ein großartiges Erlebnis, unter den mehr als 88 000 Personen auf der Festwiese im Stadtpark meiner Heimatstadt zu sitzen. Wie glücklich war ich, wieder einmal dort zu sein und viele der Brüder zu sehen, die ich von früher kannte, die immer noch die gute Botschaft vom Königreich predigen, obschon die lange Haftzeit in den Konzentrationslagern der Nazis ihre Gesundheit zerrüttet hat. Ich kann in Worten gar nicht ausdrücken, wie sehr ich durch diesen großen Kongreß gestärkt und wie reich ich durch ihn belohnt wurde.
Ich bin immer noch in dem schönen Land Chile tätig, bemüht, meine Lebensaufgabe zu erfüllen; ich sage unserem großen Gott, Jehova, für all seine liebende Güte Dank. Ich bin ihm für die vielen Vorrechte des Dienstes, die er mir im Laufe der Jahre geschenkt hat, von ganzem Herzen dankbar. Ich fühle mich gedrängt, wie David zu sagen: „Denn deine Güte ist besser als Leben; meine Lippen werden dich rühmen. Also werde ich dich preisen während meines Lebens.“ — Ps. 63:3, 4.