An der Vermehrung der Königreichsverkündiger teilhaben
Von George Nisbet erzählt
HEUTE nimmt die Zahl der Menschen, die an der Anbetung Jehovas, des wahren Gottes, interessiert sind, außergewöhnlich zu. Ein Beweis dafür ist die rapide ansteigende Zahl der Besucher bei den Zusammenkünften der Zeugen Jehovas in fast allen Ländern.
Als ich noch in Edinburgh (Schottland) in die Schule ging, nahm ich den Gottesdienst nicht besonders ernst. Selbst als meine Mutter und mein ältester Bruder im Jahre 1925 mit den christlichen Zeugen Jehovas Kontakt aufnahmen, reizte mich das, was sie interessierte, wenig.
Als jedoch meine Schulzeit zu Ende war, begann ich eines Tages, ein von der Wachtturm-Gesellschaft veröffentlichtes Buch zu lesen. Was mich besonders beeindruckte, war die vernünftige Erklärung der Bibel über den Zustand der Toten und die Hoffnung auf die Auferstehung. Durch das Studium einiger weiterer dieser Bücher wuchs mein Interesse. Die Beweise überzeugten mich so sehr, daß ich sagte: „Das ist wirklich die Wahrheit.“ Unter Gebet gab ich mich Jehova hin.
Ich bereitete mich damals gerade auf die Bordfunkerprüfung vor. Im September 1930 begann ich, als Bordfunker auf einem Schiff zu arbeiten; diese Tätigkeit übte ich über vier Jahre aus.
Meine erste Reise führte mich von London nach Indien. Da unser Schiff fünfzehn Monate lang regelmäßig den Hafen von Bombay anlief, war ich alle zwei bis drei Wochen einige Tage in dieser Stadt. Später war ich jede Woche ein oder zwei Tage in New York. Wenn ich an den liebevollen Beistand und den Eifer der Brüder in diesen Städten denke, freue ich mich heute noch. Obwohl es nun schon über vierzig Jahre her sind, bin ich Jehova und diesen Brüdern heute noch dafür dankbar, daß sie mir durch Wort und Beispiel langsam, aber sicher geholfen haben, meinen Blick darauf zu richten, einen größeren Anteil am christlichen Dienst zu haben.
Da mein ältester Bruder im Jahre 1931 nach Südafrika gegangen war, beschloß ich, mich ihm dort im Vollzeitpredigtdienst anzuschließen.
FREUDIGE TAGE WÄHREND DES ANFÄNGLICHEN WACHSTUMS IN SÜDAFRIKA
Im März 1935 kam ich nach Kapstadt (Südafrika). Hier fand ich ein ausgedehntes Gebiet zum Predigen der guten Botschaft vor, denn es gab damals nur etwa 240 Verkündiger des Königreiches Gottes im ganzen Land. In nur vier Monaten bereiste ich Südafrika der Länge nach, von Süden nach Norden, und predigte unterwegs an vielen Orten.
Im Jahre 1936 predigten wir im Osten von Transvaal und Swasiland die gute Botschaft fünf Monate lang, ohne auf eine einzige Versammlung der Zeugen Jehovas zu stoßen. Aber wir erlebten vieles, was uns sehr ermutigte.
In der Umgebung von Barberton gab es zum Beispiel einige Waldsiedlungen, und eines Tages stießen wir plötzlich nach Sonnenuntergang auf eine solche Siedlung, Coetzeestroom genannt. Als wir in ihre Nähe kamen, erreichten wir eine Anhöhe, von der aus man unsere Sprechmaschine in der ganzen Umgebung hören konnte. Nach einem kurzen Musikstück ließen wir einige Schallplatten mit biblischen Ansprachen ablaufen. Es war eine Freude, am nächsten Tag die Menschen zu besuchen. Sie waren arm, und ihre Häuser waren klein. Fast alle brachten unseren Besuch mit der Botschaft in Verbindung, die sie am Abend vorher über den Lautsprecher gehört hatten. Einige sagten sogar: „Es war für uns wie eine Stimme, die vom Himmel kam.“
Eine noch freudigere Überraschung erlebten wir, als wir in einer ganz einsamen Gegend zu einem Zeugen Jehovas kamen. Welch angeregtes Gespräch hatten wir mit ihm und seiner Familie! Wir dachten, daß seine Angehörigen es schätzen würden, wenn wir mit ihnen ein Bibelstudium durchführten. Nicht nur er und seine Familie beteiligten sich daran, sondern sechs weitere Personen, deren Interesse er bereits geweckt hatte. Und das in einer völlig abgeschiedenen Gegend!
Während unseres Aufenthalts in Swasiland arbeiteten wir von Haus zu Haus und kamen schließlich zur königlichen Residenz. König Sobhuza empfing uns sehr freundlich. Nach einer Musikplatte spielten wir einige Schallplatten mit biblischen Vorträgen ab. Sowohl der König als auch die vielen, die in einer gewissen Entfernung umherstanden und aufmerksam zuhörten, waren sehr beeindruckt. Da uns die Sprechmaschine und der Lautsprecher von der Gesellschaft geliehen worden waren, gerieten wir etwas in Verlegenheit, als der König sagte, er möchte diese Ausrüstung gern kaufen. Nachdem wir ihm aber erklärt hatten, warum wir seiner Bitte nicht entsprechen könnten, zeigte er Verständnis und freute sich, statt dessen ein Exemplar von jeder Publikation der Gesellschaft zu erhalten, die wir zur Verfügung hatten. Auch in den darauffolgenden Jahren empfing König Sobhuza die Zeugen Jehovas, die ihn besuchten, stets freundlich. Erst vor kurzem feierte er den fünfzigsten Jahrestag seiner Thronbesteigung.
Unsere Tätigkeit führte uns von Swasiland durch den nördlichen Teil von Natal bis nach Durban. In der kurzen Zeit von zwanzig Monaten besuchte ich alle Provinzen der Republik von Südafrika. Im Oktober 1936 wurde ich dann zur Mitarbeit im Zweigbüro der Gesellschaft in Kapstadt eingeladen.
Ich kannte meine christlichen Brüder im Zweigbüro bereits, und mir schien, daß sie alle sehr geschickt und tüchtig waren. Wo sollte es für mich Arbeit geben, für die ich geeignet wäre? Meine vier Mitarbeiter, die alle älter und erfahrener waren als ich, waren sehr hilfsbereit. Auf dem Schiff war das Arbeitstempo gemütlich gewesen; im Pionierdienst war es schon schneller, aber im Zweigbüro war es sehr viel schneller, ja manchmal fast atemberaubend.
JEHOVA LÄSST ES WACHSEN TROTZ DES KRIEGES
Als ich eines Nachmittags die gewundene Hauptstraße von Clifton in Kapstadt entlangging, hörte ich auf einmal die Zeitungsjungen ausrufen: „Krieg — Sonderausgabe!“ „Krieg — Sonderausgabe!“ Der Zweite Weltkrieg war ausgebrochen, und Südafrika beteiligte sich bald daran.
Die Einfuhr sämtlicher Wachtturm-Schriften wurde plötzlich verboten. Eines Tages erschienen zwei Detektive im Zweigbüro mit einem Formular, das sie ermächtigte, sämtliche Schriften der Gesellschaft zu beschlagnahmen. Sollte das bedeuten, daß wir keine Hilfsmittel zum Bibelstudium mehr gebrauchen könnten?
Der achtsame Zweigaufseher machte die Detektive darauf aufmerksam, daß die Publikationen auf der Liste namentlich aufgeführt sein müßten, sonst dürften sie sie nicht beschlagnahmen. Es stellte sich heraus, daß er recht hatte, und so mußten die Detektive unverrichteterdinge weggehen. Wir wußten jedoch, daß sie wiederkommen würden.
Der Zweigaufseher, George Phillips, unternahm deshalb unverzüglich Schritte zur gesetzlichen Verteidigung der guten Botschaft. Das führte zu mehreren günstigen Urteilen des Obersten Gerichtshofes, und so wurden schließlich Tausende von Kartons Literatur, die im Hafen von Kapstadt zurückgehalten worden waren, freigegeben. Inzwischen segnete Jehova die Bemühungen seines Volkes in auffallender Weise. Unsere Königreichsverkündiger-Höchstzahl stieg in den Jahren 1939 bis 1941 von 555 auf 1 253. Am Ende des Krieges, im Jahre 1945, erstatteten 3 466 Prediger, fast das Dreifache, Bericht.
Aber noch während des Krieges erhielten wir eine wunderbare Broschüre, betitelt „Weltfriede — ist er von Bestand?“ Als wir ihren Inhalt geistig verarbeiteten, erhielten wir eine schwache Vorstellung von dem gewaltigen Predigtwerk, das nach dem Krieg noch durchgeführt werden sollte. Irgendwelche Zweifel, die wir in dieser Hinsicht noch gehabt haben mögen, wurden zerstreut, als wir von der Gründung der Wachtturm-Bibelschule Gilead hörten, die der Ausbildung von Missionaren dienen sollte, die dann in alle Welt geschickt werden sollten.
JEHOVA LÄSST ES NACH DEM KRIEG NOCH MEHR WACHSEN
Im Jahre 1946 besuchten etwa ein Dutzend von uns aus Südafrika den internationalen Kongreß in Cleveland (Ohio). Danach traf bei uns in Südafrika der erste Absolvent der Gileadschule ein. Dadurch erfuhr ich sehr viel über diese Missionarschule im Staate New York, und das bewog mich, eine Bewerbung zum Besuch der Schule auszufüllen. Ich freute mich riesig, als ich im Jahre 1950 angenommen wurde. Ich ließ über 7 600 Verkündiger des Königreiches Gottes in Südafrika zurück — zweimal mehr, als wir 1945 hatten! Auf dem Weg nach Gilead besuchte ich meine Eltern und meine anderen beiden Brüder in Schottland, die ich fünfzehn Jahre nicht mehr gesehen hatte.
Der Besuch der Gileadschule war ein unvergleichliches Vorrecht. Man hatte selten einen Augenblick Zeit übrig, und die ganze Atmosphäre war von einem Geist ganzherzigen Gebens erfüllt. Die Unterweiser gingen in dieser Hinsicht mit gutem Beispiel voran, und das bewog mich, mich ebenfalls voll einzusetzen. Wir erhielten alle Rat in bezug auf die schwachen Punkte bei unseren Ansprachen. Ich habe immer noch meinen Gilead-Ratschlagzettel, und ich habe nie vergessen, daß Begeisterung mein schwacher Punkt war. Manchmal vergehen Jahre, bis man den Wert eines bestimmten Rates, der einem gegeben wird, richtig erkennt. Man sieht dann auch die guten Früchte, die seine Befolgung zeitigt, und ist froh, daß man auf diese Weise geformt wurde.
WACHSTUM AUF DER INSEL MAURITIUS
Zu unserer Freude und Überraschung wurden mein ältester Bruder und ich von Gilead nach Mauritius, einer Insel im Indischen Ozean, gesandt. Im Juli 1951 befanden wir uns auf dem Weg in unser Gebiet. Französisch war die Hauptsprache, die wir auf Mauritius lernen mußten, und das bißchen, das ich fünfundzwanzig Jahre vorher in der Schule gelernt hatte, kam mir sehr zugute. In vielen Stunden frischte ich meine Französischkenntnisse auf und wandte sie im Predigtdienst an.
Im Jahre 1953 schlossen sich uns zwei Gileadabsolventen aus Kanada an. Ich freute mich zu sehen, wie sich das Königreichswerk ausdehnte. Bis zum Jahre 1958 war die Zahl der Gileadmissionare auf der Insel auf acht angestiegen. Da die Regierung von Mauritius jedoch beschloß, die Zahl der Missionare auf vier zu beschränken, empfahl mir die Wachtturm-Gesellschaft, meine Tätigkeit in Südafrika fortzusetzen, wo ich gerade meine Ferien verbrachte. Ich hatte schon so viele schöne Jahre in Südafrika verlebt, daß ich begeistert war. Zwei Missionarehepaare setzten die Tätigkeit auf Mauritius fort, und es berührte mich jedesmal sehr, wenn ich hörte, wie das Königreichswerk dort Fortschritte machte. Diese Missionare und einheimische Zeugen Jehovas haben die gute Botschaft vom Königreich auf der ganzen Insel verbreitet.
WEITERES WACHSTUM WÄHREND MEINES BETHELDIENSTES
Nach einem Jahr glücklichen Missionardienstes in Kapstadt wurde ich 1959 in das Bethelheim oder das Zweigbüro der Gesellschaft in Elandsfontein gerufen. Als ich in jenem Jahr ins Bethel in Elandsfontein kam, dienten dort 46 Personen. Jetzt sind es 96. Während meines Aufenthalts auf Mauritius war die Zahl der Zeugen Jehovas in Südafrika in den Jahren 1950 bis 1959 von 7 658 auf 16 776 angestiegen.
Die Zusammenarbeit mit meinen christlichen Brüdern ruft in mir immer wieder freudige Erinnerungen an den Geist der Hilfsbereitschaft wach, der unter Jehovas Volk so offensichtlich ist. Doch die Hilfsbereitschaft, die unsere südafrikanischen Brüder bisher bewiesen hatten, wurde durch ihre Hilfsbereitschaft gegenüber den Brüdern aus Malawi, die sich in einem Flüchtlingslager in Sambia befanden, weit in den Schatten gestellt. Sie spendeten Geld und Kleider und verausgabten sich selbst in einem Maße, wie ich es in meinem ganzen Leben noch nie gesehen hatte. Die Gesellschaft erhielt unzählige Tonnen Segeltuch und Zeltplanen für große und kleine Zelte. Es war ein herzbewegender Anblick, als die beiden großen Lastwagen und Anhänger mit 34 Tonnen Zeltplanen und Kleidung vom Bethel wegfuhren.
Obwohl ich zur Hauptsache im Bethel gearbeitet habe, konnte ich auch mit einer Versammlung zusammenarbeiten und am Zeugniswerk teilnehmen. Einmal besuchten einige Zeugen einen Italiener, der an der Bibel interessiert war. Einer von ihnen fragte mich, ob ich mit ihm ein Bibelstudium durchführen könnte, und ich tat es. Er machte ausgezeichnete Fortschritte, begann sich an der Zeugnistätigkeit zu beteiligen, gab sich Jehova hin und ließ sich taufen.
Zu diesem Zeitpunkt war seine Frau bereit, die Bibel zu studieren, und so setzte ich das Studium zum Nutzen beider fort. Nach einiger Zeit begann sie, mit anderen über die gute Botschaft zu sprechen, und wurde schließlich getauft. Sie machten beide weiter Fortschritte, und kurz danach begann der Mann nacheinander drei Heimbibelstudien in Italienisch. Er war bereit, ein viertes zu beginnen, das aber in Englisch durchgeführt werden konnte, und so übergab er es freundlicherweise mir.
Alle diese Studien verliefen erfolgreich, und die Zahl der italienisch sprechenden Besucher in unserer Versammlung nahm ständig zu. Daher empfahl der Kreisaufseher die Gründung einer italienischen Versammlung. Die Gesellschaft war einverstanden, und diese Versammlung benutzt nun unseren Saal. Die Besucher legen Entfernungen bis zu 24 km zurück, einige, die zu besonderen Anlässen kommen, sogar über 160 km. Groß war unsere Freude, als die italienischen Brüder im Oktober 1972 ihren ersten Bezirkskongreß in Pretoria abhielten.
Ich freue mich sehr, einen kleinen Anteil an der wunderbaren Vermehrung der Königreichsverkündiger in Südafrika gehabt zu haben. Ihre Zahl ist in den Jahren 1935 bis 1947 von 240 auf 4 163 gestiegen, und jetzt sind es über 28 000. Ich kann mir nicht vorstellen, daß es eine andere Tätigkeit gibt, die sich nur annähernd mit neununddreißig Jahren Vollzeitdienst im Werke Jehovas vergleichen ließe. Und welche atemberaubenden Ereignisse stehen uns in den kommenden Jahren noch bevor! Welche Freude wird es sein, die fortlaufende Erfüllung der Worte aus Jesaja 9:7 über Gottes messianisches Königreich zu sehen: „Für die Fülle der fürstlichen Herrschaft und den Frieden wird es kein Ende geben.“!